Erfahrungsbericht von Jana Bracharz
Ich war 14 Jahre alt und in der 9. Klasse, als ich mich dafür entschieden habe einen dreimonatigen Austausch mit dem Brigitte-Sauzay-Programm zu machen. Meine Eltern waren damals zuerst nicht sonderlich davon begeistert, vermutlich weil man mit 14 ja auch noch mitten in der Pubertät steckt und es nicht immer einfach ist jemanden Fremdes in seine Familie zu integrieren. Doch für mich stand es fest, ich wollte unbedingt nach Frankreich. Nachdem ich meine Eltern über mehrere Monate mit meinem Wunsch fast zu Tode genervt hatte, haben sie eingesehen, dass das für mich wirklich wichtig ist und mich von da an voll und ganz unterstützt.
Ich habe meine Austauschpartnerin über die Online-Annoncen auf der Seite des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) zum Brigitte-Sauzay-Programm gefunden. Bei der Suche sind auch noch einige Korrespondenzen mit anderen Französinnen entstanden.
Nach den Sommerferien war es dann endlich so weit, meine Reise nach Limoges im Südwesten Frankreichs begann. Ich blieb von August bis November und meine Austauschschülerin Amina kam zu uns Ende Dezember des gleichen Jahres. Da es keine direkte Zugverbindung nach Limoges gab und wegen des sperrigen Koffers begleitete mich meine Mutter nach Frankreich und blieb noch für zwei Übernachtungen dort.
Meine Gastfamilie wohnte in einem kleinen Ort, nicht weit von einer Kleinstadt in der Größe von Einbeck in zwanzig Minuten Nähe von Limoges. Ich hatte neben Amina noch ihre Zwillingsschwester als Gastschwester und einen kleinen Gastbruder. Über die gesamte Zeit habe ich mich super wohl gefühlt und mit meiner Gastfamilie verstanden, vor allem mit meiner Gastmutter habe ich mich oft und lange unterhalten. Auch mit meinem kleinen Gastbruder habe ich viel gespielt und Kinderfilme geschaut. Für mich war es deutlich von Vorteil, dass wir noch zwei Wochen Sommerferien vor uns hatten, als ich ankam, so konnte ich mich erst in die Familie einleben bevor der stressige Alltag losging.
Der Schulalltag in Frankreich ist für eine*n deutsche*n Schüler*in doch erst gewöhnungsbedürftig, bei mir ging die Schule am Collège täglich von 8:00 bis 17:00 Uhr und wir hatten trotzdem Hausaufgaben auf. Ich habe mich jedoch schnell daran gewöhnt, da die Unterrichtsstunden in Frankreich dafür nicht so lang und anspruchsvoll wie in Deutschland sind. Wir hatten überwiegend Frontalunterricht. Für den Unterricht in Deutschland habe ich während meines Austausches nichts gemacht, der fehlende Stoff war jedoch gut aufzuholen. Dafür habe ich versucht im französischen Unterricht mitzuarbeiten. In Mathe habe ich sogar die Tests mitgeschrieben, man muss dazu sagen, dass wir in Deutschland aber im Stoff schon deutlich weiter waren. Mittwochs hat man in Frankreich dafür immer schon um 12 Uhr Schulschluss, allerdings habe ich mich damals für eine Handball AG angemeldet, zu der ich mittwochs ging.
Ich hatte das Glück, dass zwei Freundinnen von Amina zeitgleich auch deutsche Austauschschülerinnen zu Gast hatten. Wir konnten uns super über alles austauschen und sind sehr schnell Freundinnen geworden. Zu einer der beiden Deutschen ist eine sehr enge Freundschaft entstanden und wir besuchen uns bis heute immer noch regelmäßig. Französische Freund*innen zu finden war eher schwieriger leider, da ich mit Amina in einer Klasse war und neben ihr saß. So waren die meisten Mitschüler*innen auch ihre Freude*innen. Ich glaube das war auf Dauer auch ein bisschen belastend für Amina, ich würde auf jeden Fall empfehlen, in eine andere Klasse zu gehen als der oder die Austauschpartner*in, da man sich so Freiraum gibt und seine eigenen Wege gehen kann.
Da der Deutschunterricht für mich ziemlich langweilig war, durfte ich in der gleichen Zeit am Spanischunterricht teilnehmen. Das hat mir sehr gut gefallen und den hatte ich auch ohne Amina und hab somit da ein paar eigene Freunde gefunden. Der strenge Ton der französischen Schule hat mir nicht immer gefallen und auch den Unterricht in Deutschland finde ich deutlich besser. Das Mittagessen in der Schule war verpflichtend.
Die Franzosen und Französinnen als Menschen habe ich sehr lieben gelernt, besonders schön finde ich wie offen sie mit Fremden plaudern, dagegen sind wir Deutschen ganz schön unfreundlich. Auch das stundenlange Essen mit den vielen verschiedenen Gängen hat mir gefallen. Ich bin eine große Baguette-Liebhaberin geworden.
In den Herbstferien waren wir in Paris. Der Eiffelturm und Paris sind tatsächlich genauso prickelnd, aufregend und magisch, wie man es sich vorstellt. Mit meiner Austauschschülerin an sich habe ich leider eher weniger gesprochen oder unternommen, sie ist eine sehr fleißige, introvertierte Person, die oft stundenlang in ihrem Zimmer gezeichnet hat. Ich hatte teilweise auch das Gefühl, dass sie ein wenig überfordert damit war. Die drei Monate sind viel zu schnell vergangen und ich hatte eigentlich nie Heimweh. Ich war auch unendlich traurig und wollte am liebsten noch länger bleiben. Auch sprachlich hat mich der Austausch enorm bereichert.
Der Gegenaustausch startete dann Ende Dezember kurz vor Silvester, Amina wurde von ihrer Mutter und ihrer Schwester zu uns gebracht und wir waren auch noch alle zusammen in Goslar auf dem Weihnachtsmarkt. Der Schulbeginn mit Amina war leider nicht so toll, wir wissen bis heute nicht genau, woran es lag, aber sie war wie mein Schatten, sie hat kaum mit jemandem geredet oder Freunde gefunden, dem Unterricht konnte sie leider auch überhaupt nicht folgen. Vermutlich war dies meist der großen Sprachbarriere geschuldet. Auch zu Hause zog sie sich vermehrt zurück, die Nachmittage verbrachte sie überwiegend in ihrem Zimmer am Handy. Wir sahen uns eigentlich nur zu den Mahlzeiten. Vermutlich hatte Amina großes Heimweh. Zudem hatte ich während meiner Zeit in Frankreich mitbekommen, dass ihre Eltern gerade in der Scheidungsphase waren. Wir unternahmen damals oft etwas alle gemeinsam und mir wurde auch nie von der Scheidung erzählt, jedoch wohnten der Vater und die Zwillingsschwester werktags in einer Wohnung in Limoges. Diese Familienkrise verstärkte vermutlich Aminas Zustand.
Schließlich haben wir mit Frau Minta entschieden, dass Amina in eine andere Klasse gehen soll. Doch auch dadurch ist es nicht besser geworden, im Laufe der Zeit hat sie immer weniger gegessen. Nachdem wir entdeckt haben, dass sie dann auch noch hochdosierte Schlaftabletten genommen hat und einigen Gesprächen mit Frau Minta, haben wir schließlich entschieden, dass dieser Zustand nicht mehr verantwortbar ist und Amina vorläufig erstmal wieder nach Hause fahren sollte. Aminas Eltern wollten allerdings unbedingt, dass sie hierbleibt und wollten sie nicht abholen. Amina äußerte sich nie konkret, aber dass sie starkes Heimweh hatte, merkte man deutlich. Schließlich stimmten ihre Eltern endlich der Heimreise zu, sobald Amina darüber in Kenntnis war, aß sie auch wieder so, wie ich es aus Frankreich kannte. Nach langem Hin und Her und einer belastenden Zeit für unsere Familie, brachten wir Amina dann schweren Herzens zum Bahnhof. So wurde der Gegenaustausch nach einem Monat abgebrochen.
Für die Gastfamilie und mich war bei meiner Abreise definitiv klar gewesen, dass ich sie besuchen kommen würde und meine Gastmutter hatte mir sogar angeboten noch einmal für längere Zeit zu kommen. Doch nachdem Amina den Austausch abbrechen musste, haben sie sich nie wieder gemeldet und auch auf Briefe und Pakete kam nie etwas zurück. Das hat mir schwer zu schaffen gemacht. Ich bin leider bis heute nicht erneut in Limoges gewesen.
Rückblickend bin ich der Meinung, dass ein Austausch die beste Entscheidung meines Lebens war und dass man drei Monate hinsichtlich des sprachlichen Fortschritts nicht unterschätzen sollte.
Brigitte Sauzay ist ein tolles kostenloses Programm und Frau Minta hat uns die gesamte Zeit mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Allerdings sollte man sich darüber im Klarem sein, dass es nicht immer einfach ist, jemanden in der Familie aufzunehmen, dass es dort immer zu Problemen kommen kann und es Zeit und Nerven braucht. Ich hoffe du wagst auch das Abenteuer, es lohnt sich!